Uwe Krüger, Journalismusforscher an der Uni Leipzig, über „prägende Medienerlebnisse, starke Leser:innen-Blatt-Bindungen und neue Wege in der Berichterstattung.
Uwe Krüger, gemeinsam mit Master-Studierenden der Uni Leipzig haben Sie Abonnent:innen der drei konstruktiven Medien Good Impact, Perspective Daily und FUTURZWEI befragt. Wie und warum?
Wir haben im März 2023 eine Online-Befragung laufen lassen, um herauszufinden, wie die Abonnent:innen diese Medien nutzen, wie sie sie bewerten und welche eventuellen Wirkungen die Lektüre hatte. Genauer gesagt wollten wir wissen, ob es „prägende Medienerlebnisse“ durch Konstruktiven Journalismus gibt und wie diese aussehen.
Was sind „prägende Medienerlebnisse“?
Das ist ein neues Konzept der Medienwirkungsforschung, das meine Kollegin Larissa Leonhard entwickelt hat. Es geht um Erfahrungen mit Medien, die individuell als besonders intensiv und folgenreich wahrgenommen und nachhaltig erinnert werden, die also nicht alltäglich sind.
Es ist die erste Umfrage dieser Art im deutschsprachigen Raum. Und eigentlich nerven Befragungen Abonnent:innen meistens eher, wie war‘s diesmal?
Zwischen 11 und 24 Prozent der angeschriebenen Abonnent:innen haben mitgemacht, das ist angesichts üblicher Rücklaufquoten bei Online-Befragungen von um die 10 Prozent ganz ordentlich. Die Ergebnisse – auch wenn wir noch mitten in der Auswertung stecken – deuten auf eine häufig starke Leser-Blatt-Bindung hin, da nahmen viele offenbar gern die Arbeit des Fragebogen-Ausfüllens in Kauf.
Auch wenn die Auswertung noch nicht abgeschlossen ist: Gibt es schon interessante Ergebnisse im Hinblick auf „prägende Medienerlebnisse“?
Die meisten Angaben dazu beziehen sich auf Konsumgewohnheiten und Ernährung, also dass man weniger Fleisch isst, Müll reduziert oder das Auto abgeschafft hat. Auch ehrenamtliches Engagement, Teilnahme an Demos oder Spenden wurden auf Medienkonsum zurückgeführt – manchmal auch, dass sich die Perspektive auf die Welt oder die politische Position verändert hat. Insgesamt scheint Konstruktiver Journalismus bei seinen Nutzer:innen erstaunlich viel bewirken zu können.
Wie ist generell der Forschungstand zu Wirkungen von Konstruktivem Journalismus?
Bislang wurde dazu vor allem mit Experimenten geforscht, also etwa so, dass eine Gruppe einen Artikel mit konstruktiver Ausrichtung zu lesen bekam und eine Kontrollgruppe einen Artikel zum selben Thema mit klassisch-problemzentrierter Ausrichtung, also ohne Lösungs-orientierung. Damit kann man kurzfristige Effekte auf Stimmung, Gefühle und Handlungsabsichten messen.
Grob kann man als Forschungsstand zusammenfassen, dass Konstruktiver Journalismus positive Emotionen auslöst oder negative abschwächt, häufig auch die Bereitschaft zum Handeln erhöht und zuweilen die Wahrnehmung von Selbstwirksamkeit erhöht. Mit unseren Daten können wir jetzt eine neue Perspektive einbringen: was Nutzer:innen retrospektiv als langfristige und für das eigene Leben bedeutsame Wirkungen ansehen.
Immer mehr Medienhäuser wollen konstruktive Formate einführen. Klingt eigentlich ganz gut, oder?
Wir stecken ja als Gesellschaft in multiplen Krisen bzw. einer Vielfachkrise und müssen uns verändern – und auch die Medien suchen nach neuen Wegen, relevant vor allem für nachwachsende Generationen zu bleiben oder zu werden. Konstruktiver Journalismus kann, wenn er gut gemacht ist, da eine Win-Win-Situation auf mehreren Ebenen sein: Er kann Mediennutzer:innen aus Apathie und Zynismus heraushelfen, er kann Medienorganisationen neue Zugänge zu Publika verschaffen und er kann gesellschaftlichen Wandel befördern. Ich sehe das als vielversprechendes Konzept, das man weiterverfolgen sollte.
(Interview: Jan Scheper / Foto: Ron Lach/Pexels)
Dr. Uwe Krüger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Lehr- und Forschungsbereich Journalismus des Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig sowie Forschungskoordinator des dortigen Zentrums Journalismus und Demokratie. (Foto: privat)